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  • La clemenza di Tito - KN

    2007.06.20 10:09

    석찬일 조회 수:1448 추천:19

    Eindeutig zweideutig



    Intensive Leistung in einer schwierigen Partie: Tatiana Plotnikova als Vitellia, ehrgeizige Titus-Gattin Nummer drei. Foto Struck


    Kiel – Die Regisseurin Aurelia Eggers hat Wolfgang Amadeus Mozarts staatstragend-nobles Spätwerk, die Opera Seria La Clemenza di Tito, auf der Bühne der Oper Kiel in eine beißend geschärfte Politsatire verwandelt. Sie fordert damit den Widerspruch eines nicht geringen Teils des Publikums heraus. Einigkeit herrschte in der Premiere am Sonntag aber darüber, dass unter der inspirierenden Leitung von Johannes Willig musikalisch Großartiges gelang.
    Haben wir je die sprichwörtliche Milde des römischen Kaisers und Tempelschleifers Titus für absolut selbstlos gehalten? Haben wir uns nicht auch gewundert, dass er in kürzester Zeit gleich drei verschiedene Frauen zu seiner Kaiserin machen wollte? Kam uns die Liebe zu seinem Schüler Sesto nicht auch merkwürdig innig vor? Die Regisseurin Aurelia Eggers wundert sich nicht, sie handelt. Sie entlarvt den ach so grundguten Kaiser als selbstsüchtigen Populisten, der für sein hohes Ansehen im Volk alles zu tun immer bereit ist – selbst Wahlkampf in gelben Gummistiefeln. Und kein Zweifel: Wenn es an der Zeit wäre, würde dieser Instinktpolitiker auch seine homoerotischen Neigungen mit einem kernigen „und-das-ist-auch-gut-so“-Satz gesellschaftsfähig machen. Verbiegen muss Eggers den italienischen Text (übersetzt in deutschen Obertiteln) dafür keineswegs. Nur zweideutig lesen. Tat der Freimaurer Mozart das im Jahr 1791 vielleicht insgeheim auch?
    Schon während der Ouvertüre lässt der smarte Kaiser, den der Tenor Tomasz Zagorski mit einer betörenden Mischung aus lyrischer Leichtgängigkeit und heldischem Kern überragend singt, die erste Gattinnen-Kandidatin fallen. Man rutscht eben leicht weg in dem Palazzo Prozzo, den Norbert Ziermann da mit Säulen, futuristischem Hintergrundprospekt gebaut hat. Ein Machtzentrum à la Berlusconi, durch dessen vermeintlich transparente Glasfront sich das Volk vergeblich Einblick erhofft. Hier ist alles große Politshow, kostümiert von Veronika Lindner – und transportiert von Bild, BamS und Glotze.
    Kein Fleck darf auf der weißen Weste des Kaisers zu sehen sein. Im Hintergrund macht sich deshalb der finstere Publio, den Claudius Muth leider auch denkbar grobschlächtig singt, die Handschuhe schmutzig. Er wird beispielsweise auf brutalste Weise dokumentieren, dass der Kaiser die zweite Kandidatin Servilia (stimmlich luxuriös besetzt mit Susan Gouthro) noch nicht angerührt hat. Peinlicherweise hatte sich herausgestellt, dass sie ausschließlich für den unterwürfigen Büroleiter Annio (quecksilbrig: Claudia Iten) schwärmt. Mit der dritten Wahlfrau Vitellia aber gerät das Immer-nur-Lächeln-System bei Hofe ernsthaft in Gefahr. Denn die von Ehrgeiz zerfressene Nachfahrin einer Lady Macbeth hat ihre Leidenschaften trotz cooler Sonnenbrille nicht wirklich im Griff. Längst hat sie schon zum Vernichtungsschlag gegen die Hassliebe Titus ausgeholt. Tatiana Plotnikova verabschiedet sich so aus Kiel – mit einer vor allem in der Höhe und in den Koloraturen makellos intensiven Leistung. Ihr fehlt für die schwierige Partie allenfalls das, was man ihr (noch) gar nicht wünschen mag: ätzende Schärfe und eine erdig orgelnde Tiefe.
    Vitellias Werkzeug ist der Diven-Schwärmer und Hof-Fotograf Sesto, Freund (oder gar Ex-Geliebter?) des Kaisers. Die Mezzosopranistin Marina Fideli, in der Premiere am stärksten bejubelt, trifft genau seinen spätpubertären Cherubino-Ton, spielt ihn hinreißend jungenhaft, bewältigt die großen Arien dabei differenziert und mit Tiefgang. Die Regie tut gut daran, die echten Empfindungen dieser beiden Schlüsselfiguren nicht in Frage zu stellen. Der Kaiser aber, so zeigt man uns, wird sich weiter in polierten Phrasen ergehen und als gelernter Wendehals aalglatt auf neue gesellschaftliche Strömungen reagieren. Ob er deshalb aber gleich der Typ wäre, sich Mitwissern durch einen lancierten Giftanschlag zu entledigen? Der Schluss gerät etwas hektisch und wäre entbehrlich... Eggers' szenisches Aktionstempo sorgt ansonsten in jedem Fall dafür, dass selbst in den handlungstragenden, aber spannungsarmen Rezitativen von Mozarts Adlatus Süßmayr keine Langeweile aufkeimt.
    Den entscheidenden Rest aber „entdeckt“ Johannes Willig: Am Pult und Hammerklavier zündet er in der gern unterschätzten Partitur hart oder herzlich, bedächtig oder fiebrig die unterschwellig lauernden Emotionen. Die stilgewandten Philharmoniker wagen, zum Teil mit historischem Instrumentarium, die Extreme zwischen ahnungsvollem Wispern und bösartigem Knalleffekt. Und der Chor, sehr gut einstudiert von David Maiwald, fügt sich nahtlos ins aufgeklärte Klangbild. Das eindeutig zweideutige Lehrstück ist somit in jeder Beziehung zu empfehlen.

    Von Christian Strehk
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