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  • Barfuß oder Lackschuh? - KN

    2008.01.29 03:58

    석찬일 조회 수:1916 추천:12



    Auftritt des Toreros Escamillo (Jörg Sabrowski), bejubelt von den Gästen in Lillas Pastias Schänke und lauernd beobachtet von Carmen (Marina Fideli, links). Foto Olaf Struck


    Kiel – Liebe, Eifersucht, Freiheitssehnsucht: Georges Bizets herrliche Oper Carmen bleibt ein Renner. Im ausverkauften Kieler Opernhaus reagiert das Premierenpublikum am Sonnabend allerdings eher freundlich reserviert auf die Neuinszenierung in der Regie von Aurelia Eggers.
    Beim Vorspiel ist noch alles im Lot. Da haben sich die Stiere in den Hörnern, weil es ja die Kühe gibt, schleichen sich die Männer und Frauen zum ewigen, nicht selten blutig gefärbten Kampf der Geschlechter auf die Bühne. Die Regisseurin Aurelia Eggers bringt in Gang, was sie gut kann: das Agieren mit den kunstvollen Mitteln des Theaters. Im Wechsel von Bühnenrealismus und Stilisierungen (wie dem „Einfrieren“ des Chores) und im Umschalten des Lichts von Totale auf Spot schält sie in Georges Bizets Meisterwerk Wichtiges aus Opulentem heraus. Der Bühnenbildner Norbert Ziermann schafft dafür viel assoziativen Raum und einen geschickt gesetzten, drehbaren Hauswürfel, der mit kalkweißer Fassade eine dezent modernisierte Andalusien-Mikrowelt ohne Überdosis Postkarten-Idylle heraufbeschwört.
    Carmen lässt erahnen, dass unter ihrem Zigarettenfabrik-Overall weit mehr steckt, als das auf Lackschuhen umherstöckelnde Erotikon. Marina Fideli stattet sie mit einem schön feinherb tönenden, gekonnt mit der französischen Sprache spielenden Mezzosopran aus, der nicht vordergründig auf weibliche Lockstoffe setzt, sondern schon das tödliche Finale vorausahnen lässt. In den Folgeaufführungen bleibt für die Magie der Titelpartie allerdings noch Luft zum Nachreifen.
    Carmens Verstrickung mit Don José beschert die Begegnung mit der profiliertesten Bühnenfigur des Abends. Inmitten von Klischee-Söldner der Marke Zuniga (Hans-Georg Ahrens) und Moralès (zum Aufhorchen: Tomohiro Takada) ragt er heraus, reizt Carmen mit seiner zunächst ungefesselten Nachdenklichkeit. Der Tenor Emmanuel di Villarosa singt – seinem unidiomatischen Französisch zum Trotz – wunderbar differenziert, verweigert sich jeder Kraftmeierei, gestaltet die Blumenarie betörend und hat Reserven für das Fieberwahn-Finale.
    Die Regie gibt sich Mühe mit ihm, zeigt genau, wie Gewalttätigkeit ungewollt in ihm aufbricht. Zu den Symbolen seiner Abhängigkeiten – Uniform, Blumen, Lackschuh oder Kruzifix – ist auch Micaela zu zählen, in der er allzu gerne das kleine Mädchen mit den Zöpfen von früher sehen möchte. Die Sopranistin Susan Gouthro trifft den Ton der von naiver zu hoffnungsloser Liebe gereiften Frau sehr genau.
    So weit also, so gut. In der Kneipe aber – übrigens authentisch betrieben vom Kieler Koch und Musikliebhaber Francois Viain als Lillas Pastia – möchte die Regisseurin Eggers unbedingt überdeutlich machen, dass es mit der Freiheit von Carmen und Konsorten nicht weit her ist. Man blickt auf ein billiges Etablissement, in dem der Soldateska gegen Geld drittklassige Flamenco-Folklore und zweitklassige Liebesdienste geboten werden. Der Stierkämpfer Escamillo, dem Jörg Sabrowski vor allem in der Auftrittsarie mit sicherer Höhe stimmlich gutes Format verleiht, muss in weißen Nadelstreifen den Gockel geben.
    Nach Feierabend glucksen sich Frasquita (Heike Wittlieb) und Mercédès (Merja Mäkelä) aufatmend durch ein musikalisch köstlich präzises Quintett mit Carmen und den Zuhälter-Typen Remendado (Steffen Doberauer) und Dancairo (Tomohiro Takada). Die Kostümbildnerin Magali Gerberon hat sie alle ausstaffiert, als seien sie einer Bonboniere entstiegen, die als Sonderedition zur jährlichen Corrida herausgebracht wird.
    Für Carmens Verhältnis zu Don José hat dieses knallbunte Bild, das offenbar gegen die Verklärung von Zigeunerromantik Wunder wirken soll, sie jedoch eher herbeisehnen lässt, problematische Konsequenzen. Aus der stolz aufragenden, absolute Freiheit ersehnenden geistigen Vorfahrin von Lulu und Simone de Beauvoir wird ein bedauernswertes Mädel ohne klare Kontur, die beim Zapfenstreich Ängste entwickelt, ihr José könnte auch nur ein gewöhnlicher Freier sein. Vergeblich taumelt sie im Glück, als Don José dann zwangsläufig bei ihr im Untergrund bleiben muss. Aber warum es zwischen ihnen zum Äußersten kommen muss, wird allenfalls aus seiner Sicht deutlich.
    In der Finalszene setzt die somit insgesamt spannungslose Inszenierung noch einmal aufs große Tableau nach alter Regieväter Sitte: Opernchor, Extrachor und Jugendchor des Theater Kiel wogen, musikalisch sehr gut einstudiert von David Maiwald und Michael Nündel, straßenfestlich hin und her, damit sich dann die abgekühlte Carmen und der aufgeheizte Don José zum tödlich einsamen Showdown herauszuschälen können.
    Die Philharmoniker langen dazu endgültig in die Vollen. Obwohl der deutsch übertitelte Abend im Sinne Bizets zu Recht auf die „leichte“ Opéra comique-Fassung mit Dialogen setzt und gelegentlich duftige Inseln wie die Seguidilla federnd „barfüßig“ ausgetänzelt werden, glaubt GMD Georg Fritzsch offenbar eher an die gewaltige Macht dramatisch verdichteter Daueremphase. So knallen auch im Graben eher die Lackschuhe.
    Von Christian Strehk

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