On the Town
2004.11.03 17:00
Das ist die Liebe der Matrosen
Ein Morgen, ein Tag, eine Nacht und wieder ein Morgen - mehr bleibt den drei Matrosen der US-Navy nicht, während ihres Landurlaubs New York, die Stadt der Träume, zu erobern. Die Uhr tickt, die Stunden eilen, und so bestimmt ein ruheloses Tempo die Jagd nach Glück in Leonard Bernsteins Musical On the Town, das unter der musikalischen Leitung von GMD Georg Fritzsch und in der Regie von Georg Köhl am Kieler Opernhaus einen großen Premierenerfolg feierte. New York, New York - wie ein energiegeladener Jubelschrei trumpft Bernsteins Titelsong auf, denn sein frühes Musical aus dem Jahre 1944 nach einer Idee von Jerome Robbins und mit den Texten von Adolph Green und Betty Comden (deutsche Fassung: Claus H. Henneberg) ist eine einzige Liebeserklärung an eine Stadt, die niemals schläft, an die verlockenden Sehenswürdigkeiten, an die süßen Girls. Bernstein singt dieses Loblied im Sound seiner Zeit, dem nervös treibenden Swing, und auf erstaunliche Weise gelingt es dem Kieler Generalmusikdirektor, aus seinen Philharmonikern eine Big Band zu formieren. Fritzsch fordert und erhält den schmelzenden Streicherklang, die strahlenden Bläsersätze, die rasanten Rhythmen, die federnden Synkopen und die verhangenen Blue Notes; die Rumba taumelt in Trance und der Blues trägt Trauer.
Im Graben also schlägt der Puls der Großstadt und auf der Bühne tobt das Leben, vor allem wenn Choreograph Ralf Rossa seine Girls und Boys vom Ballett wirbeln lässt, als fegten sie über den Broadway - allen voran Michelle Fernandez Yamamoto und Stefan Späti in ihrem Pas de deux. Dazu mengt sich der von Jaume Miranda punktgenau einstudierte Chor, Kleindarsteller und die Statisterie zu immer neuen, liebevoll arrangierten Genrebildern. Gabriele Jaeneckes Kostüme schmücken dabei jedes Detail sorgfältig aus.
Und doch verläuft sich die Inszenierung nicht in einer Ausstattungsorgie, denn Norbert Ziermanns Bilder suchen gar nicht die Illusion einer Großstadt, sondern hantieren äußerst geschickt mit der Bühnenpraxis: Ein mächtiger Schiffsbug von der Seite, ein schräg in den Hintergrund gestellter U-Bahn-Wagen, eine Sitzbank als Taxi, das berühmte Dino-Skelett, zwei Wohnzimmer auf Podesten hereingerollt, am Ende das geliebte Sternenfirmament - so schafft Ziermann schnelle Schauplatzwechsel und zaubert doch vielfarbige Stimmungen.
Es kommt eben darauf an, die Geschichte flüssig zu erzählen. Denn das ist die Liebe der Matrosen: Auf Landgang bleibt nicht viel Zeit, zumal der schwärmerische Gabey sich schnell in ein Bildnis verliebt, die Miss U-Bahn des Monats: Ivy Smith. Die Suche nach ihr gibt nun den Takt an, dem sich alles unterordnet. Chip, dem Anthony Gebler einen leicht begriffsstutzigen Charme gibt, wird sofort von der Taxifahrerin Hildy (fabelhaft taff: Christina Fry) abgeschleppt. Ozzie, den Alexander Franzen mit stabilem Selbstbewusstsein ausstattet, erobert die Studentin Claire, von Claudia Iten mit herber Anmut gespielt und gesungen. Knapp und treffend skizzierte Typen sind da zu sehen, markant gespielt wie die Madame Dilly von Marita Dübbers und der unglückliche Verlobte Pitkin von Attila Kovács, angenehm gesungen wie Trond Gudevolds Dockarbeiter.
Mehr Spielraum wird dem dritten, nur für Augenblicke glücklichen Liebespaar gegeben. Mirko Janiska nutzt ihn für einen beweglich spielenden, wohlklingenden Gabey. Und Michaela Ische darf als Ivy alle ihre Talente vorführen: tänzerisches Können, flexiblen Gesang und darstellerische Disziplin. Für Momente aber weht ein anderer Hauch durch den gut und geordnet ablaufenden Musical-Betrieb: Die national bekannte Diseuse Georgette Dee bringt authentisches Nachtclub-Feeling von ganz eigener, unverwechselbarer Ausstrahlung mit.
Regisseur Georg Köhl fasst alle Fäden zusammen, wenngleich er sie nicht immer straff hält. In mancher Spielszene lässt er sich auf Klamotte ein, was statt Witz Länge bringt. Seine Inszenierung aber ist technisch und konzeptionell gut durchgearbeitet und überrascht dazu mit einer geheimnisvollen Figur: Dirk Schäfer wandelt als Zeitenwanderer durch das Spiel, als Conférencier, der manchmal wie ein Schutzengel waltet. So gerät ein Fremdling in eine ansonsten eher der Konvention verpflichteten Aufführung, die so frisch und geputzt zur Schau gestellt wird, als komme sie geradewegs aus dem Musical-Museum.
Leonard Bernstein: On the Town. Musikalische Leitung: Georg Fritzsch; Regie: Georg Köhl; Bühne: Norbert Ziermann; Kostüme: Gabriele Jaenecke; Choreografie: Ralf Rossa. Oper Kiel; nächste Aufführungen: 19. Nov.; 1., 2., 9., 26., 31. Dez. (Silvester: 16 + 20 Uhr). Karten-Tel.: 0431/95095; Internet: www.theater-kiel.de
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