La Gioconda - Belcanto im Widerstreit der Gefühle
2005.10.04 01:42
Souveränes Belcanto: Tatiana Plotnikova mit Kapellmeister Johannes Willig. Foto Struck
Kiel – Unter der Oberfläche des Repertoires schlummern Opern, die es wert sind, ans Abendlicht des Theaters geholt zu werden; und sei es wenigstens in konzertanter Form. Mit Amilcare Ponchiellis La Gioconda hebt nun das Kieler Opernhaus wieder so einen Schatz – mit großem Erfolg. Aus den anderthalb Jahrzehnten, in denen Giuseppe Verdi schwieg – zwischen Aida (1871) und Othello (1887) – hat nur ein Meisterwerk aus anderer Feder überdauert: diese "Gioconda" (1876). Darin zeigt sich Ponchielli auf der Höhe der Zeit. Vokal steht er ganz in der Tradition des Belcanto. Sein Spannungsaufbau folgt den Erfahrungen des 20 Jahre jüngeren Verdi. Der Wiedererkennungseffekt von Wagners Leitmotivik findet sich ebenso wie erste Momente des Verismo, mit dem dann seine Schüler Mascagni und Puccini ihren Lehrer übertrumpfen sollten. Und auch dank des Verdi-Librettisten Arrigo Boito ist La Gioconda von mitreißender Eigenständigkeit. Boito hat aus Victor Hugos verschlungenem Roman eine einigermaßen plausible Opernhandlung destilliert, in der sich die Situationen zuspitzen. Schauplatz dieser für das 19. Jahrhundert typischen musiktheatralischen Räuberphiole ist Venedig im frühen Barock. Hier, wo das Leben auf engstem Raum regelrecht kanalisiert wird, mischen sich zwei Kinder aus dem Volke in die Machenschaften der oberen Tausend ein – was für die Straßensängerin Gioconda tödlich endet. Kollege Barnaba aber, der als Spitzel die Fäden in der Hand zu halten glaubt, verspekuliert sich.
Davon ist in der Ouvertüre noch wenig zu ahnen, wenn 1. Kapellmeister Johannes Willig die Streicher des Philharmonischen Orchesters sich zögernd auf die Farben einstellen, jedoch bei der Wiederholung des Leitmotivs das Tutti allen Schmelz entwickeln lässt. Wenn aber der Chor sein "Brot und Feste" in schwungvoller Italo-Marcia-Manier bietet, wird das Publikum hineingenommen in einen Widerstreit glühender Gefühle, der sich in den Übertiteln leicht verfolgen lässt.
Nun kommt Belcanto über die Rampe. Christa Mayers warmer, strömender Alt vermittelt die sorgende Mütterlichkeit der blinden Cieca und harmoniert mit dem Sopran der Tochter: Tatiana Plotnikova debütiert in der Titelrolle mit einer staunenswerten Souveränität; zumal im Finale zeigt sie schon enorme Reife, wenn sie vom prononcierten Piano über kontrollierte mezza voce bis zum glockenhellen "Ti amo" und höchstem leidenschaftlichen Ausbruch alle Facetten mühelos beherrscht.
Gioconda liebt den Fürsten Grimaldi, vergeblich. Aber zur Freude des Publikums kann Mineo Nagata der Titelpartie vokal Paroli bieten; seinen fehlerlosen, kräftigen Tenor führt er in der berühmten Arie Cielo e mar in die Dimensionen großer Kollegen. Grimaldi aber liebt die dem Beamten Alvise anvertraute Laura: Es ist fast ein Irrwitz, was Ponchielli ihnen an wunderschönen Melodien unterlegt, während sie verbittert ihre Konfrontationen austragen – Marina Fideli mit anrührendem, raumgreifenden Mezzo und Hue-Soo Sonn mit ruhigem Bass, dessen schönem Material für einen Menschenverächter aber die morbide Farbe fehlt.
Gioconda wiederum wird von Barnaba geliebt, der skrupellos auch in der Wahl seiner Mittel ist: In diese zentrale Partie legt Jooil Choi viel Ausdruck, sein Bariton meistert spielend alle Anforderungen, doch bringt er den Macho nicht rüber; Belcanto ohne zwingende Charakterisierung auch hier. In kleinen Partien bewähren sich Chan Il Seok und Steffen Doberauer. Und David Maiwald verhilft dem Chor zu gut abgestufter Durchschlagskraft.
Die ist auch bei Johannes Willig in guten Händen. Bei der Premiere forderte er den geschlossen mitgehenden Philharmonikern das Feuer in den dramatischen Passagen ab, verhielt sich in den lyrischen dagegen gelegentlich zu reserviert. Da darf er mehr Drive entwickeln, so auch im Tanz der Stunden, der vor dem Schlussgalopp in Schönheit zu sterben drohte. Doch das sind nur Marginalien in diesem neuen Trumpf der Kieler Oper.
Nächste Vorstellungen: 9., 13., 20. Oktober. Karten 0431/901901. Internet: www.theater-kiel.de
Von Günter Zschacke
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