Mit der Macht der Stimmen - Don Carlo
2008.09.28 20:32
Adina Aaron als Elisabeth. Im Hintergrund: Sen Acar (Tebaldo) und Chordamen / Philipp (Thorsten Grümbel) und der Großinquisitor (Hakan Tirasoglu, re.)
Kiel – Das Programmheft warnt mit Giuseppe Verdis eigenen Worten: „Es ist eine lange Oper, das ist wahr. Aber sie muss so sein.“ Und man möchte ergänzen: Vor allem muss sie so besetzt sein. Die Kieler Neuproduktion des Don Carlo in der dramaturgisch sinnvoll aufgebauten fünfaktigen Modena-Fassung von 1886 ist in erster Linie ein stark bejubeltes Sängerfest.
Man weiß gar nicht, wen man zu erst und wen zu letzt belobigen soll. Nicht etwa deswegen, weil die Regie (siehe unten) alle gleich wichtig oder unwichtig nimmt, sondern weil auf der Bühne des Kieler Opernhauses großartig gesungen wird. Lässt man den Damen den Vortritt, führt am sympathischen Gaststar Adina Aaron kein Weg vorbei. Ihre Elisabeth ist ein Muster an Charme und aufrechtem Stolz. Jugendlich emphatisch blüht ihre Liebe zu Carlo im selten gespielten und doch als Ausgangspunkt so wichtigen Fontainebleau-Akt. Selbstbeherrscht gestaltet sie dann die Töne der von Staatsräson und Friedenswillen geleiteten Königin. Mystisch weltentrückt klingt die große Arie im fünften Akt. Das alles wird ohne Brüche und Verspannungen über eine lyrisch-dramatische Sopranstimme verströmt, die im Brustregister düstere Farbschatten und in der Höhe blütenzart schwebende Piani setzen kann.
In der Prinzessin Eboli hat sie eine wunderbar herbe Nebenbuhlerin. Marina Fideli setzt ihr belcantistisches Können nicht nur im Schleierlied und in den rezitativischen Teilen sehr geschickt ein, sie benötigt auch keine Riesenstimme, um der berühmten Dramatik der „O don fatale“-Arie in eindrucksvoll antikischer Größe gerecht zu werden.
Beide hängen am Infanten Don Carlo, den Emmanuel di Villarosa zwar etwas unbeholfen auf der Bühne umherirren lässt, aber ausgesprochen differenziert singt. Tenorales Stahl-Strahlen und große Belcanto-Bögen setzt der Amerikaner weit seltener ein als melancholisch labile Zwischentöne. Das mindert zwar die Wirkung beim Publikum, wird aber doch dem unglücklichen Stiefmutter-Verehrer gerecht. Freund Rodrigo möchte man ebenfalls ein männlicheres Auftreten wünschen. Gleichzeitig badet man aber wohlig in der schön balsamisch fließenden Legato-Kultur des Baritons Tomohiro Takada.
Es ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit, dass es auch noch gelingt, die beiden großen Bass-Partien erstklassig zu besetzen. Doch Thorsten Grümbel (König) und Hakan Tirasoglu (Großinquisitor) liefern sich ein imposantes Gefecht um weltliche und klerikale Machtansprüche. Beide verfügen über einen wirkungsvoll herrischen, metallischen Stimmkern und viel Verdi-Stilgefühl. Grümbel wagt es, die große Philipp-Arie zu Beginn des vierten Aktes fast tonlos zu beginnen, um sich dann aus Fassungslosigkeit heraus zu steigern.
In kleineren Partien erfüllen Hans Georg Ahrens (Mönch), Sen Acar (Tebaldo), Chien-Chi Lin (Graf Lerma / Herold) und – durch ungünstige akustische Bedingungen in der Intonation getrübt – auch Susan Gouthro als „Stimme vom Himmel“ hohe Ansprüche.
Die Striche in Verdis letzter Fassung sind moderat und nur im Fall der eliminierten Masken-Tausch-Szene zwischen Eboli und Elisabeth dramaturgisch schmerzlich. Georg Fritzsch tendiert zu raschen, im Fall des eigentlich bedrohlich lauernden Duetts König / Großinquisitor sogar etwas atemlosen Tempi. Abgesehen von kleineren Premierenwacklern hat das Spiel der Philharmoniker aber ansonsten ein genau geschnittenes, sehniges Format, das die Sänger nicht allzu sehr unter Druck setzt. Im Laufe der Aufführungen darf sich – auch im untadelig studierten Chor- und Extrachor – der Verdi-Klang ruhig noch etwas intensivieren.
Von Christian Strehk
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