Verdis "Forza" konzertant in der Oper Kiel - KN
2006.10.04 08:49
Vom Maestro (Johannes Willig, hinten) umsorgt: Tatiana Plotnikova (Leonora) mit Jooil Choi (Carlo, l.) und Emmanuel di Villarosa (Alvaro) Foto Struck
Kiel – Seit Jahren garantieren sie reines Opernglück im Kieler Opernhaus, einmal ganz ohne heiße Diskussionen über Inszenierungskonzepte: die konzertanten Abende. Um sie noch ein wenig populärer zu machen, hat man nun anstelle einer Belcanto-Rarität Giuseppe Verdis Macht des Schicksals ins Rennen geschickt.
Das Ergebnis ist ein hinreißend gesungenes und dirigiertes Operndrama. Eine "Oper der Absichten" wollte Giuseppe Verdi schaffen, ein wahrhaftiges menschliches Drama, ohne die (Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch üblichen) Arien-, Duett- oder Ensemble-Portionierung. Herausgekommen ist 1862/69 ein merkwürdiger Zwitter zwischen Belcanto-Reißer, Grand Opéra und Musikdrama; vor allem aber eine Musik, die in ihrer emotionalen Aussagekraft mühelos über die eigentlich abstruse Handlung hinweg trägt. La Forza del destino inszenieren zu müssen, gehört zu den Träumen, aus denen Regisseure schweißgebadet aufwachen. Und deshalb ist es legitim, dafür die konzertante Form zu wählen, auch wenn in Kiel so (wie vor Jahren mit Aida) die schöne Tradition abzureißen scheint, Randständiges aus dem weiten Belcanto-Feld ins Rampenlicht zu stellen.
Allerdings macht der stellvertretende Kieler Generalmusikdirektor Johannes Willig bei seinem wunderbar federnd durchmodellierten Dirigat sehr deutlich, dass Verdi hier noch voll aus Donizetti-, Bellini- oder eigenen "Traviata"-Einsichten seine neuartigen Absichten gewinnt. Wo andere Dirigenten die Schicksalsmacht schwerblütig dröhnen lassen, destilliert Willig mit den bestens disponierten Philharmonikern Fatalitäten nach Art einer unerträglichen Leichtigkeit des Seins.
Die Sänger profitieren sehr von diesem Stil der feinen Nadelstiche. Tatiana Plotnikova kann ihre betörend biegsame Sopranstimme ganz ohne Druck in die bedrohten Verästelungen von Leonoras Seele einfließen lassen. In ihr manifestiert sich Verdis "Absicht", das Innere nach außen zu kehren, ganz besonders glücklich. Man höre und staune, wie sicher, innig erfühlt und doch raumgreifend sie beispielsweise die anspruchsvolle Friedensarie bewältigt.
Der italoamerikanische Tenor Emmanuel di Villarosa gibt den von Unglück verfolgten Außenseiter Alvaro ganz als verliebten und gottesfürchtigen Melancholiker, in dem das heiße Indio-Blut vorwiegend unter der Oberfläche kocht. Diese Oberfläche bildet eine in allen Lagen rund geschliffene, eindrucksvoll über den langen Atem geschobene Stimme. In Jooil Chois Don Carlo di Vargas hat er einen aggressiven Gegner, der seine finster funkelnde Blutrachsucht weniger in Kavalierbaritonstönen als in veristisch überzeichneten Hasstiraden entlädt. Nur gut, dass der liebe Gott da mit Hans Georg Ahrens einen Pater Guardian entsenden kann, dessen warm strömender Bass-Segen dem Tod noch etwas Würde abgewinnen kann.
Es gehört zu den besonders raffinierten Kniffen der Partitur, dass Verdi, der Shakespearianer unter den Opernkomponisten, in all die hoffnungslose Düsternis brillant aufgeheiterte Kontrastflächen einbaut. Die Zigeunerin Preziosilla beispielsweise darf es ein wenig aufreizend knistern lassen. Marina Fideli legt dafür den metallisch glänzenden Kern ihrer schönen Mezzo-Stimme offen und lässt daran temperamentvoll die Funken sprühen. Kollege Hye-Soo Sonn kümmert sich mit schlankem Bass und feindosierter Komik um die Don-Camillo-Verschrobenheit des Bruder Melitone und Steffen Doberauer preist als Händler Trabuco mit elegantem Tenor-Schmelz seine Waren an.
Zur gelungenen Gegensatz-Spannung trägt aber ganz entscheidend auch der klanglich intensiv und mit viel Verdi-Drive von David Maiwald einstudierte Opernchor bei. Dass sich aus diesem geschlossenen Ensemble heraus zahlreiche solistische Nebenpartien derart überzeugend besetzen lassen (darunter Chan Il Seok als Marchese, Carmen Cardán als Curra und Andrzej Bernagiewicz als Alcade oder auch Chirurg, dem die Kugel in der Brust seines Patienten zunächst nicht recht behagen will...) spricht ohnehin für sich. Das Publikum zeigt sich bewegt und restlos begeistert – auch eine von Verdis Absichten.
Von Christian Strehk
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