Zur Kieler Neuinszenierung von Richard Wagners "Tannhäuser"
2007.03.13 08:49
Kiel – Große Begeisterung in der Oper Kiel: Das Publikum lässt sich – beflügelt von Georg Fritzschs Dirigat und erstaunlichen Sänger-Leistungen – voll auf Uwe Schwarz' profilierte szenische Interpretation von Richard Wagners Tannhäuser als ein ins surreale abdriftendes Künstlerdrama ein. Künstler mit Visionen sind so. Sie stehen quer zum Heute, weil sie im Übermorgen denken. Auch Richard Wagner, der in seinen Dresdner Jahren die Opernwelt revolutionierte, indem er aus dem eigenem Gerangel mit seinem Tannhäuser die Kraft zur Vision des Musikdramas der Zukunft sog, war so ein Künstler. Einer, der die Frauen als Musen und Freunde als Wirtstiere missbrauchte, um seine Kunst zu nähren. Einer, der die verschnarcht bürgerliche Zwangsjacke ablegen wollte, weil sie für seine Phantasie-Explosionen viel zu eng war.
Schon deshalb macht es Sinn, dass Uwe Schwarz in seiner Kieler Inszenierung von Wagners "großer romantischer Oper" Tannhäuser aus der Minnesänger-Titelfigur keinen sauber konfektionierten Rittersmann, sondern einen megalomanisch Unangepassten generiert. Der erstaunliche Tenor Scott MacAllister, der die gefürchtete Stimmkiller-Partie derart nimmermüde schlagkräftig und dabei auch noch blitzsauber und intelligent textscharf ausgestaltet (Rom-Erzählung!), darf ihn als provokanten Jonathan-Meese-Verschnitt hinschleudern. Dieser Tannhäuser ist ein hochaktiver Performance-Vulkan. Bald gelangweilt von seiner Uschi-Obermaier-Venus (vielleicht die schönste Wagner-Stimme des Abends: Hermine May mit rotglühenden Mezzosopran-Tönen) lässt er seine 70er-Jahre-Phase mit Flokati-Bett, psychedelischen Videos und Jörg-Immendorff-Kneipe abrupt hinter sich. Doch kaum schnuppert er bundesrepublikanische Luft, wachsen um ihn herum schon wieder diese uniformen Quadratisch-Denker mit ihrem unerträglichen Jägerlatein wie Pilze aus dem ach so romantischen deutschen Waldboden.
Der erneute Konflikt des Künstlers mit dieser tatsächlichen oder nur so wahrgenommenen Realität ist programmiert. Tannhäuser kollidiert aufs Schärfste mit einer männerbündisch frömmelnden Bierhumpen-Gesellschaft, deren Zungen (Johannes An als Walther, Jooil Choi als Biterolf, Steffen Doberauer als Heinrich und Matthias Klein als Reinmar) unter dem Motto "Eintracht, ????, Frömmigkeit" hohle Phrasen über die hohe Liebe absondern, dieweil das Weibsvolk auf den Zuschauerrängen brav applaudieren darf.
Uwe Schwarz hat in das heikle Sängerkriegs-Gewusel des zweiten Akts im gelungenen Schulterschluss mit Norbert Ziermanns sprechend abstrahierten Bühnenbild-Ideen und den Historisches als Zitat einsetzenden Kostümen von Gabriele Jaenecke klare Strukturen hinein gebracht. Und es ist überzeugend, wie die Musik (Birgit Kaar, Harfe, und zuvor schon Dorothee Todtenhaupt, Englischhorn, als Pendant zum bezaubernden Pierrot-Hirten von Julia Neumann) dabei demonstrativ mit "ins Bild" gesetzt wird.
Die größte Stärke der Regiearbeit liegt aber in Details der Personen-Charakterisierung. Keine Figur bleibt blass. Der Landgraf Hermann (Hans Georg Ahrens mit der gewohnten, wenn auch stimmlich etwas schwankend disponierten Worttonstrom-Kompetenz), sonst häufig nur eine gelinde verärgerte Vaterfigur, wird hier zum hinterhältigen Strippenzieher. Und Wolfram, meist ganz der weichgespülte Gutmensch, erbebt in seiner unerfüllten Liebe zu Elisabeth in gestauten und aufbrechenden Aggressionen. Da der junge Bariton Mirko Janiska ihn auch noch in betörend edlem Liedersänger-Legato singt, dabei aber stets die seelischen Abgründe mitklingen lässt, entsteht ein ganz starkes Porträt.
Auch Elisabeth wird zu mehr, als bloß zu einem tiefgläubig sanften Gegenbild der Venus. Das liegt nicht zuletzt am herausfordernd lodernden Singen Claudia Itens, die mit metallisch verdichtetem Sopran eine Art Jeanne d'Arc aus ihr macht und dafür den allerstärksten Beifall des Premierenpublikums erntet. In dieser von Wolfram hoffnungslos geliebten Elisabeth sieht (der Kieler) Tannhäuser weder seine große Liebe, noch den durch Erlösung reinigenden Lichtschimmer am Ende seines Sündentunnels. Überhaupt erspart uns die Regie weitgehend pseudoreligiöses Geschwiemel. Vielmehr wird die tapfere Tochter des Oberförsters, die als einzige die visionäre Potenz des Künstlers erkannt hat, im dritten Akt in Tannhäusers Augen endgültig zur Ikone seines Ausbruchs in eine gänzlich entrückte, surrealistische Stilwelt à la Magritte. Elisabeths Leiden und Sterben, die "Todesahnung" Wolframs, das eigene Ausgestoßensein – alles gerät ihm letztendlich zur großen Kunst-Installation.
Im Publikum regt sich keinerlei Widerspruch gegen diese mutig und gekonnt arrangierte und visualisierte Umdeutung. Begeisterung aber löst die musikalische Seite aus. Die vereinigten Stimmen von Chor und Extrachor, einstudiert von David Maiwald, glänzen trotz naturgemäß begrenzter Besetzungsstärke mit starken und mit andächtigen Tönen. Und die Philharmoniker stehen ihnen da wahrlich nicht nach. GMD Georg Fritzsch dirigiert die revidierte Dresdner Fassung (mit Wiederauftritt von Venus im dritten Akt) hörbar mit inniger Liebe zu den schönen, noch Carl Maria von Weber nahe stehenden Bläsersätzen. Aber er reizt auch mit Lust die knalligen Effekte der großen Ensembles aus und trägt die Sänger sicher ins Ziel. Wagners Tannhäuser gilt als besonders schwierige Hürde. Am Kieler Opernhaus merkt man davon beglückend wenig. Offenbar sind Künstler mit Visionen am Werk.
Von Christian Strehk
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