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  • ||0||0Im Altbekannten leicht verjüngt A A A

    09.11.2008  16:08 Uhr

    Kiel – Schmelzende Stimmen und Blicke, rasante Choreografie, ins Nichts führende Abflussrohre und Feuertreppen – alles wie es sein soll beim Bandenkrieg in Upper Manhattan. In der "Westside Story" am Kieler Opernhaus ist alles so, wie es die Aufführungsrechte vorsehen; Eingriffe ins Original von Jerome Robbins und Leonard Bernstein sind da nur bedingt zugelassen. Trotzdem gelingt dem Regie-Team Daniel Karasek und Mario Schröder in diesem Rahmen ein eigener Dreh. Und das Premierenpublikum ließ sich von der Liebesgeschichte um Maria und Tony, die zwischen zwei verfeindeten Gangs aufgerieben wird, nur zu gern verführen.

    Das Fingerschnippen klingt von irgendwo aus der Ferne, derweil belebt sich vorn die Szenerie. Ein paar Jungs schlendern herbei, belauern und umlungern sich. Hohe Sprünge, zum Abflug ausgebreitete Arme, das kollektive Nach-Vorn – irgendwie bekannt sind die Bewegungen, aber weniger scharf gezeichnet als in der dank Film (Robert Wise, 1961) unsterblich gewordenen Choreografie von Jerome Robbins. Hier sehen sie eher aus wie Versatzstücke, aus der Tradition geborgene Relikte. Schließlich hat man es bei Leonard Bernsteins "Westside Story" bei aller Zeitlosigkeit auch mit einem gut erhaltenen Museumsstück zu tun.

    Und so hat nicht nur Bühnenbildner Norbert Ziermann die Abflussrohre unter der Autobahn sinnig ins Symbolische vervielfacht, zu Spielplatz und Fluchtort der Gangs. So greift sich auch Kiels Ballettchef Mario Schröder die bekannten Motive, dekonstruiert sie und und kombiniert sie neu mit dem Bewegungsmaterial der eigenen Kompanie. Und die kann in ihrer treibenden Dynamik viel anfangen mit dem Drive und der Aggression der Westside Story und ihrer Musik.

    Da wird der rasante Tanzabend, an dem sich Maria und Tony begegnen, jenseits aller Standards zum schrägen Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. Und die von Robbins schick stilisierten Schaukämpfe der Jets und Sharks verrückt Schröder in eine abstrakte Aggression, in der es den einen klaren Gegner nicht mehr gibt - der unmotivierten Gewalt heutiger Tage dürfte das näher liegen als das Faustkampf-Ideal, das Autor Arthur Laurents für das 1957 am Broadway uraufgeführte Original entwarf. Dazu legen die Kieler Philharmoniker unter Leitung von Simon Rekers zackig los, lassen die Bläsersektion bratzen, die Percussion wirbeln – und treiben die Story an mit Swing und Groove. Der Zweite Kapellmeister akzentuiert die Kontraste in Bernsteins vielfältig zitierender Musik und lässt dabei Raum auch fürs schmelzende Pathos.

    Neben soviel musikalischer und tänzerischer Energie bleiben die Spielszenen leicht blass. Programmgemäß gibt Wolfgang Krassnitzer den graumäusigen Doc und Ivan Dentler einen knallchargigen Animator Glad Hand. Und Frank Stieren dürfte den fiesen Cop ruhig ein bisschen kaputter zeigen. Aber auch die Liebesgeschichte von Maria und Tony hat es nicht ganz leicht. Die entwickelt sich so brav und unschuldig, dass trotz mancher zarter Küsse vor allem die händchenhaltende Kindergartenromantik hängenbleibt. Dagegen hilft nur der Gesang. Der strömt bei Susan Gouthro, die als Maria ihr Musical-Debüt gibt, so kristallklar und frisch, dass dieses Mädchen in ihrer Neugier, Sehnsucht und Lebenslust plötzlich sehr echt wird. Und Christian-Alexander Müller, der Musical-erprobte Gast aus Chemnitz, singt seinen Tony so mühelos jubelnd, ungezwungen und punktgenau, dass sich unterm braven Seitenscheitel auch bald dessen ungestüme Seite entblättert. Daneben gibt Carla Seders eine lockere, klar artikulierende Anita, überzeugen Iris Makris und Opernensemble-Mitglied Sen Acar stimmlich als Shark-Girls.

    Als Überraschung des Abends aber entpuppen sich die famosen Kieler Tänzer, die hier auch als Schauspieler, Sänger und Chor überzeugen: Tina Gaitzsch als freche Rosina, Preslav Mantchev als rotzig balkanisierter Sharks-Chef Bernardo, Jordan Melville als komisch-zynischer Jet-Boy Action. Und allen voran Jose Martinez Grau, der Jet-Anführer Riff eine ganz eigene Stimme gibt, schön cool und mit lässiger Schärfe. Dass die Kompanie daneben Akzente aus aller Herren Länder mitbringt, erweist sich als ausgesprochen passende, ironische Zuspitzung: Eigentlich ist es längst egal, wer Jet, wer Shark ist. Fremde sind sie alle, Underdogs, die nach oben wollen auch. Dafür reicht es manchmal schon, die anderen klein zu halten.

    So wechselt der Abend durch die Stimmungen, gewinnt die Inszenierung immer mal wieder auch Breitwand-Format – wie beim "Tonight", wenn sich mit den Ebenen des Theaters die Hoffnungen, Ahnungen und Sehnsüchte der Protagonisten mischen. Am Ende erscheint Bernsteins Märchen im Altbekannten leicht verjüngt. Das ist zu großen Teilen dem Ballett zu verdanken, das gerade nach dem gelungenen Musical-Ausflug auch wieder Raum bekommen sollte, sein Profil als eigenständige Sparte zu schärfen.

    Westside Story. Regie: Daniel Karasek und Mario Schröder. Bühne: Norbert Ziermann. Opernhaus Kiel. Vorstellungen 14., 27. Nov., 14., 26., 31. Dez., 3., 4., 18. Jan. Kartentelefon: 0431/901901, Internet: www.theater-kiel.de

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