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  • Kiel – Richard Strauss' einaktige Operntragödie Elektra sprengt eigentlich die Möglichkeiten der kleinen und mittleren Häuser. Umso bemerkenswerter ist es, wenn die musikalische Bewältigung auf ganzer Linie so hochgespannt gelingt wie am Sonntag im Kieler Opernhaus. Als szenische Hülle taugt dafür auch Robert Tannenbaums Karlsruher Inszenierung. Einen düsteren Hinterhof des Königspalastes hatte sich schon Hugo von Hofmannsthal als Szenerie seines ersten Librettos für den kongenialen Richard Strauss gewünscht.

    Hier bekommt er mehr: Krieg, Zerstörung, Hoffnungslosigkeit, erstarrt im Schnee. Der Palast, den Ausstatter Peter Werner da im Hintergrund aufragen lässt, ist nur noch ein ausgebombtes Beton-Gerippe. Die darin vor Kälte und Angst frierenden Mägde (Marita Dübbers, Bianca Kirsch, Marina Fideli, Gabriele Rossmanith und Heike Wittlieb) tuscheln über Elektra, die Tochter des Königs Agamemnon. Seit Jahren führt sie jeden Tag Klage gegen dessen Meuchelmörder – ihre Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Aegisth (eher Karikatur als Held: James Wood).

    Auch wenn sie der Regisseur Robert Tannenbaum allzu früh als unberechenbar umherschwankende Wahnsinnige abstempelt, die im Kleidchen als Blutrache-Vulkan gegen alle Kälte anglüht: In Lisa Livingstons Elektra, in ihrem großartigen Singen zumal, schwingt immerhin noch königliche Würde mit. Vom orgelnden Brustton bis zur posaunenhaften Ekstase, vom textpräsenten Gemurmel über den ironischen Zungenschlag bis hin zum berührend melodiösen Tonstrom hat die kalifornische Hochdramatische alles zu bieten, was eine gute Elektra braucht.

    Flankiert und getragen wird ihr hier überdeutlich nach außen gekehrtes psychopathologisches Agieren durch die Kieler Philharmoniker, die im Kampf mit der gefürchteten Hydra-Partitur über sich und die begrenzten akustischen Verhältnisse im Opernhaus hinauswachsen, ohne dabei je ins Lärmen zu geraten. Generalmusikdirektor Georg Fritzsch (in der Premiere übrigens belauscht von einer bedeutenden Elektra-Dirigentin: Simone Young) beweist sich einmal mehr als idealer Strauss-Interpret. Obwohl er es nicht an Härte, Horror und keuchender Dramatik fehlen lässt, zeigt er in Zwischentönen immer wieder Sinn für Rosenkavalier-Parfüm und menschliche Wärme. Und nur so wird auch deutlich, dass Strauss' musikalische Tragödie 1909 gemeinsam mit Schönbergs Erwartung das Scharnier zwischen der Moderne und dem betörenden Wiener Klangzauber der Jahrhundertwende bildet.

    Neben Lisa Livingston und Fritzsch erntet Claudia Iten zu Recht den größten Beifalls- und Bravosturm des Abends. Sie hat ausgerechnet mit der Chrysothemis den Fachwechsel vom lyrischen Mezzo zum jugendlich-dramatischen Sopran gewagt und begeistert mit gleißend auflodernden, aber eigentlich nie schrill überreizten Höhen. Von ihrer Mutter Klytämnestra könnte sie sich noch das plastische Zusammenwirken von Sprache und Klangfarbe abgucken. Allerdings muss sich die Varnay-Schülerin Cornelia Dietrich auch ganz bewusst auf diese Qualitäten zurückziehen, weil ihre Stimme unter vieljähriger hochdramatischer Belastung offenbar schon an freischwingender Kraft eingebüßt hat.

    Die durchwachsen glückliche Inszenierung, die Klytämnestra eher als eines der verstörten Kriegsopfer denn als schuldbeladene Machtfrau sieht und damit unfreiwillig das Duell mit Elektra abschwächt, war ab Juli 2004 zunächst am Badischen Staatstheater Karlsruhe zu sehen.

    Am Ende leistet die Regie sich noch eine – keineswegs gänzlich neuartige – Uminterpretation. Orest (in gepflegter Deutlichkeit: Jörg Sabrowski) kehrt als smarter Wem-die-Stunde-schlägt-Bote zurück, erlebt Hand in Hand mit der Schwester noch einen letzten kindlichen Erinnerungsglücksmoment. Durch seine nachfolgenden Fehde-Morde aber tritt er nun selbst in den Teufelskreis der Zerstörung und ersticht schließlich die im Irrsinn entgleiste Schwester Elektra. Das nimmt der Titelfigur endgültig die erlösende, stringente Selbsterfüllung ihres eigenen Willens und steht damit quer zum triumphierend aufstrahlenden Agamemnon-Schlussmotiv im Orchester. Aber es passt immerhin zum restlos pessimistischen Gesamtkonzept.

    Richard Strauss: Elektra. Robert Tannenbaum (Regie); Peter Werner (Ausstattung); Georg Fritzsch (musikalische Leitung). Termine: Fr, 20. Juni, 20 Uhr, und Mi, 28. Juni, 20 Uhr. Wiederaufnahme am 23. September. Karten: 0431 / 901 901 www.theater-kiel.de

    Von Christian Strehk
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