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  • Fidelio - Das Trauma in Marzellines Leben - KN

    2007.10.02 06:03

    석찬일 조회 수:2308 추천:11



    Nur die Gedanken sind frei: Rocco (Wilhelm Schwinghammer, l.), Leonore (Adrienne Dugger) und Florestan (Scott MacAllister, r.) als gebeugte, graue Gestalten im Beton-Kerker Foto Struck


    Kiel – Ein roter Teppich, Fackelträger, feierliche Worte vom Ministerpräsidenten, der Oberbürgermeisterin und des Generalintendanten, Live-Übertragung im Radio: 100 Jahre nach der Eröffnung erfährt das Kieler Opernhaus zu Recht besondere Beachtung und eine Neuinszenierung von Beethovens Fidelio, die szenisch und sängerisch gut, orchestral sogar aufregend gelingt.
    Marzelline hat es nicht gut getroffen. Das pubertierende Püppchen bügelt ihre Sehnsüchte vergeblich in die Anstaltswäsche. Und Susan Gouthro komplettiert dieses Porträt mit flehentlich zarten Soprantönen. Bedrängt vom blassen, verhetzt geschäftigen Pförtner Joaquino (adäquat hager in Ton und Auftreten: Steffen Doberauer) und belästigt vom brutalen Gouverneur des in jeder Beziehung unterirdischen Beton-Gefängnisses, hängt sie ihr „Prinzip Hoffnung“ an Fidelio. Doch der Neue im Räderwerk des Unrechtsstaates ist kein Traummann, sondern die verkleidete Leonore, die mit persönlichem und politischem Drang versucht, ihrem Gatten Florestan die Freiheit des Andersdenkenden zurück zu gewinnen.
    Unterbelichtete Getriebene huschen in Dominik Neuners allemal profilierter Kieler Jubiläumsinszenierung von Beethovens Fidelio durchs Bild. In Hans Dieter Schaals kühn und kantig geschnittenen Bühnen-Zementierungen, die man mit den 80er-Jahren und Ruth Berghaus verbindet (etwa im Hamburger Tristan), kommt ihre mausgraue Chancenlosigkeit bestens zur Geltung. Die Kostüme von Julia Dominique Debus passen sich ein, gerade weil sie an Klischees aus der Arbeitskittel- und Ledermantel-Ecke nicht vorbeikommen (wollen). Das Premierenpublikum schluckt diese Retro-Aktualisierung des in den Dialogen stark beschnittenen Stoffes denn auch ohne Gegenwehr.
    Wirklich aufregend wird die Sache sowieso aus einem anderen Grund. Generalmusikdirektor Georg Fritzsch macht seine Ankündigung wahr und treibt die bestens disponierten Kieler Philharmoniker derart rasant durch einen Zeittunnel, dass der „Eroica“-Impetus einer Revolutionsoper aufmüpfig vor Ohren steht. Die kleine Besetzung und die schnellen Tempi, mit denen erstmals ein Ferenc Fricsay genau vor fünfzig Jahren die Beethoven-Gemeinde spaltete, treffen hier glücklich mit jüngeren Erkenntnissen der Harnoncourt-Fraktion zusammen. Nervös und vibratoarm surren die Streicher, schlank kommentieren die Holzbläser und Hörner, knallig punktet die Pauke und bissig setzen die Barockposaunen und Naturtrompeten Akzente. Im Ersten Akt bleibt so kein Deut falscher biedermeierlicher Gemütlichkeit übrig. Der Gefangenenchor – auf hohem Niveau einstudiert von David Maiwald (Solisten: Hojoon Lee und Shuichi Umino) – verästelt sich wundervoll durchhörbar. Und das Drama steigert sich endlich in gebotener Beethoven-Schärfe.
    Die Sänger dürfen sich, wenn schon nicht über üppige Atempausen, so doch über kammermusikalischen Freiraum freuen. Wilhelm Schwinghammers junger und trotzdem imposant bassiger Rocco lässt den üblichen Gemütsmenschen ganz außen vor und kehrt schonungslos den eingeschüchterten Mitläufer hervor. In Jooil Chois Don Pizarro hat er einen machtvoll dröhnenden Heldenbariton zum Chef, dessen Dämonie nur nicht vollständig überwältigt, weil die deutsche Sprache verfärbt mitschwingt.
    Der Tenor Scott MacAllister besteht die schwere Prüfung der Florestan-Partie nicht ohne Anstrengung, aber mit bravourösem Schwung und wahrhaftiger Emphase. Letztere kann man auch Adrienne Dugger als Leonore nicht absprechen. Obwohl sie differenziert singt und in der Tiefe dramatisch orgeln kann, bleibt ihre Höhe derart eng und flackernd, dass sie es nicht vermag, den Abend angemessen an sich zu reißen.
    So wie das Orchester auf wonnewolkiges Pathos verzichtet, glaubt auch die Regie nicht an den finalen Rettungsschluss. Kaum sind Florestan und Leonore mit ihrer „namenlosen Freude“ aus der Szene herausgetreten, wird die Befreiung zum Champagner-Event abgestempelt. Florestan steht unbeachtet herum, Pizarro erschießt sich im Hintergrund und der schmierige Minister (entsprechend maniriert: Jörg Sabrowski) findet Gefallen an Leonore.
    Folgerichtig bleibt auch Marzelline auf ihrem Lebenstraum(a)-Sofa sitzen. Hoffnungslos zerknüllt sie das Tagebuch ihrer Wünsche. Beethoven hätte sich ihr da in seinem psychosozialen Kerkerdasein des ertaubenden Genies vermutlich ganz nah gefühlt.

    Von Christian Strehk
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