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  • Tosca - Der etwas andere Engel

    2006.03.14 02:48

    석찬일 조회 수:3573 추천:16



    Kiel – Großartige Sänger, ein prägnantes Dirigat und eine insgesamt plastisch durchgearbeitete Inszenierung: In der Oper Kiel begeistert Giacomo Puccinis ewig gültiger Opernkrimi "Tosca" das Publikum. Dem mag man sich (fast) ohne Einschränkung anschließen.
    Er ist da. Er greift sanft ein. Aber auch durch seine Finger rinnt unaufhaltsam die Zeit und der Sand im Getriebe der Welt. Wer ihn sieht, der ist gerichtet – oder erlöst. Die Rede ist vom Engel der Engelsburg. Als Schutz- und apokalyptischer Todesengel, als Abkömmling von Walter Benjamins Engel der Geschichte schweift er durch Georg Köhls Inszenierung von Puccinis emotionsbebendem Melodrama Tosca. Wenn sich Fiete Krutein im dritten Akt kurz zum sehr schön singenden Hirtenknaben materialisiert, schließt sich der Kreis dieses gelungenen Regieeinfalls, der den veristischen Schocker durch eine poetisch-symbolistische Note sanft überhöht.
    Der etwas andere Engel begegnet einem in Tosca. Sie ist hier nicht die kapriziöse Diva, die man kennt, sondern jene mädchenhafte Erscheinung vom Lande, die in der Vorlage, dem Schauspiel La Tosca von Victorien Sardou, angelegt ist. Umso glaubhafter gerät sie als naiv Liebende in das blutige Politgerangel zwischen den herrschenden Royalisten und den gnadenlos verfolgten Republikanern (bestens: Hye-Soo Sonn als Angelotti).

    Tatjana Plotnikova könnte man unter diesen Vorzeichen erst recht einen Glücksfall für die Besetzung der Titelpartie nennen, weil sie so wunderbar anmutig, farbschillernd und geschmeidig singt. So hört man beispielsweise die Vissi d'arte-Arie einmal ganz ohne die Mühe und das Tremolo-Geflacker, das die Hochdramatischen hier kaum vermeiden können. Bei der Uraufführung soll die Besetzung ähnlich gewählt worden sein. Allerdings schleicht einem auch die Sorge ans Herz, dass die Partie für die junge Russin zu früh kommt. Noch fehlt es an jener festen Grundlage im Brustregister, die die emotionalen Ausbrüche sichert. Möge ihr die gefürchtete "Toscalitis" erspart bleiben.

    Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und die Kieler Philharmoniker tun viel, um den Druck auf die Stimmen nicht zu groß werden zu lassen. Davon profitiert auch der großartig singende Cavaradossi: Der mexikanische Tenor Hector Sandoval spielt sinnlich mit Klangmixturen und Legatolinien in den beiden Arien-Hits, begegnet Toscas Eifersucht mit ironisch lächelndem Thrill und lässt die "Victoria!"-Rufe heißblütig brennen. Fritzsch bläst dabei die Partitur nie zum vordergründig überwältigenden, filmmusikalischen Breitwandsound auf, sondern setzt kernig Akzente setzen und sorgt für Transparenz. Vielleicht gewinnen die dramatischen Stellen und das Te Deum (mit den von David Maiwald sicher und schlagkräftig einstudierten Chören) in den Folgeaufführungen noch an Drang und agogischer Freiheit. Die stärksten Momente erlebt man ohnehin im Lyrischen: Der Beginn des dritten Aktes gelingt in selten so innig erreichter Puccini-Qualität. Kein Wunder: Hat Fritzsch nicht gerade in Dresden die Butterfly dirigiert?

    Die Regie erspart uns unterdessen eine gewaltsame Aktualisierung und setzt zu Recht weitgehend auf die theatralisch wirksam verdichteten Krimi-Qualitäten des Librettos. Norbert Ziermann hat ihm dafür mit dem gewohnten Geschick zunächst einen unkitschigen römisch-katholischen Kirchenraum (samt problematischem Mesner: Attila Kovács) auf die Bühne gestellt, der sich dann in fortschreitender Abstraktion in den Befehls- und Lustraum des gefürchteten Polizeichefs Scarpia und die Exekutionsplattform des Finales wandelt.

    Georg Köhl schießt – wie schon mancher Regisseur vor ihm – in einem Punkt über das Ziel hinaus: Aus Scarpia will er unbedingt die Inkarnation des Bösen schlechthin machen. Dabei bringt der Bassbariton Jooil Choi alles, was dazu nötig wäre, schon in der Stimme mit: Übel lüstern funkelt es da, schwarz blecken die Abgründe, donnernd krachen die Kanonen. Aber Köhl will hier plakativ sein, stilisiert ihn zum päpstlichen Guru hoch, der mit rotberockten Kardinälen eine schwarze Messe feiert oder mittels seiner fiesen Entourage (Steffen Doberauer als Spoletta mit Chan Il Seok und Shuichi Umino) halbentkleidete Frauen als Lustobjekte knechtet. Je mehr sich die Regie in diese Gewaltfantasien hineinsteigert, umso ungereimter wird die Sache. Die Live-Schaltung per Gegensprechanlage in die Folterkammer etwa bricht unglücklich mit der irgendwo im 19. Jahrhundert angesiedelten, aber deshalb nicht zwangsläufig gestrigen Aura, um die sich Regie und die Kostümbildnerin Gabriele Jaenecke sonst erfolgreich bemüht hatten. Und wie Willy Decker in Stuttgart soll sich unbedingt auch ein merkwürdiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Tosca und Scarpia andeuten. Schon im ersten Akt lehnt sie sich in ihrer Eifersuchtsverzweiflung ausgerechnet bei ihm an und wird ihm, dem Erotikon des Negativen, einen Kuss ("il bacio di Tosca") auf die erkaltenden Lippen drücken, nachdem sie ihm das Messer tödlich in den Unterleib gerammt hat. Eigentlich hätte der Engel da sein weises Haupt schütteln müssen. Ansonsten aber hat er viel Puccini-Glück an die Förde gebracht.

    Giacomo Puccini: "Tosca". Opernhaus Kiel. Inszenierung: Georg Köhl; musikalische Leitung: Georg Fritzsch; Bühne: Norbert Ziermann; Kostüme: Gabriele Jaenecke. Weitere Aufführungen: Sbd, 18. März; Mi, 22. März; Do, 30. März, 20 Uhr.

    Von Christian Strehk
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