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    Christian Strehk | kn | 07.03.2010
    17:59 Uhr
    aktualisiert: 18:00 Uhr

     

    Kiel - Alban Bergs Büchner-Oper Wozzeck ist der Klassiker der musikalischen Moderne schlechthin. Einstudiert von Johannes Willig und inszeniert von Intendant Daniel Karasek ist das 1925 in Berlin uraufgeführte Musiktheater-Drama am Sonnabend mit Erfolg neu am Kieler Opernhaus herausgekommen.

     

    Es raunt und quietscht, schreit und schmeichelt, schwelgt und verletzt, was da aus dem Orchestergraben aufsteigt. Die Kieler Philharmoniker bestehen überzeugend die schwere Prüfung. Im Laufe des Abends nimmt Alban Bergs großartige, mal groteske, mal innige Wozzeck-Partitur immer genauere Konturen an. Geschieht Unfassbares, dröhnt sie bohrend, um bald danach (so im grandiosen Zwischenspiel zur Schlussszene) betörend zu verklären. Man soll es nicht für möglich halten, bekommt aber vom stellvertretenden Generalmusikdirektor Johannes Willig am Pult den eindrucksvoll transparent gemachten Nachweis: Bergs so emotional packende Expressionismen sind kunstvoll, ja künstlich durchorganisiert bis ins letzte Detail.


    Auf der Bühne geht es zufälliger, schwammiger, menschelnder zu. Regisseur Daniel Karasek setzt seine Ankündigung konsequent um, sich auf keine strenge Marschrichtung in der Interpretation festlegen zu wollen. Dafür wird aus naivem Blickwinkel arrangiert, was das Libretto vordergründig verrät. Claudia Spielmann suggeriert in den Kostümen eine aschgraue Prekariat-Trostlosigkeit. Und Norbert Ziermann versenkt die Handlung in einen tageslichtlosen Endzeittunnel, wo eine rasche szenische Verwandlung besser gelingen kann als ein Leben, das sich würdig von dem der Kanalratten unterscheidet.

    Die expressionistische Schärfe, die Berg in Büchners Figuren entdeckt, ätzt noch in der Figur des Doktors nach: Hans Georg Ahrens singschauspielert ihn herrlich spöttisch als glattglänzende Stütze der Gesellschaft à la George Grosz. Wozzecks andere Peiniger verschwimmen dagegen in neueren Klischees einer wenig ehrenwerten unteren Mittelklasse. Der pseudomoralische Hauptmann scheint schon länger außer Dienst, denn seine Haltung ist dahin. Fred Hoffmann singt seine Partie schön und klar, aber ihm fehlt dafür doch ein wenig der kantig heldische Haudegen in der Stimme - eher wäre ihm ein präziser Andres zuzutrauen, dem Yoonki Baek keine Legatolinie, aber doch die Textgenauigkeit schuldig bleibt. Die Armee ist offenbar in keinem guten Zustand, denn der Tambourmajor kommt mehr als versoffener Brutalo, denn als uniformiertes Erotikon 'rüber. Jan Vacik singt die Prahlhans-Partie immerhin mit geifernder Lust.

    Warum sich Marie aber tatsächlich auf eine solche Schranze einlässt, um ihren verhetzten, aber sympathischen Wozzeck zu betrügen, wird nicht deutlich. Eingepfercht in eine herangezoomte und wieder abgewendete Kleinstbürger-Box gibt Sonja Mühleck ganz die bibelfeste stille Gretchen-Sünderin, die ihren Buben (Jonathan Sabrowski führt die Bühnenpräsenz-Tradition in dritter Generation fort) ans Herz drückt. Nicht hochdramatisch grell, sondern anrührend intim singt sie die Partie.

    Das passt zu Jörg Sabrowskis feinjustiertem Gefreiten Wozzeck, der mit hängenden Schultern Flaschen sammelt, Idioten rasiert oder halbwissenschaftliche Bohnentests über sich ergehen lässt, um ein letztes Bisschen Überleben zu sichern. Die reale Welt fließt irgendwie zeitlos an ihm vorbei: das klaustrophobe „Halli Hallo“-Gedrängel in der unterirdischen Wirtshaus-Disco (Choreinstudierung David Maiwald), die Netzstrumpf-Verlockungen der Margret (Merja Mäkelä), diverse Alphamännchen (Kyung-Sik Woo, Norbert Conrads, Thomas Loose) oder die Ahnungen des Narren (Michael Müller), der - warum auch immer - auf- und wegtaucht wie Saint-Exupérys Kleiner Prinz. Sabrowskis Wozzeck wird an all dem nicht irre. In den sanft und sonor gedrechselten Stimmlinien flackert kaum Schizophrenie. Töten wird er dennoch: Marie und sich selbst.

    Wenn am Ende der Kinderchor Maries Vollwaisenknaben in ewiger Einsamkeit stehen lässt und ihm nur ein schwebender Drachen als Hoffnungsschimmer bleibt, hat das Meisterwerk jedenfalls wieder über jede Unentschlossenheit gesiegt: Große Zustimmung für alle, besonders aber für Willig und die Philharmoniker.

    Alban Berg: Wozzeck. Opernhaus Kiel. Termine: 14. März; 10. April; 22. Mai; 17. Juni, 3. Juli. Karten-Tel.: 0431/901901; www.theater-kiel.de

     

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